KZ-Prozess 1951: Lebenslang für die „Bestie von Buchenwald“ - WELT (2024)

Ilse Koch, die Witwe des Buchenwald-Kommandanten Karl Otto Koch, quälte nicht nur Gefangene, sondern bereicherte sich auch maßlos an ihnen. Gerüchte von der Häutung tätowierter Häftlinge gingen um. 1951 erhielt sie lebenslänglich.

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Der Stuhl der Angeklagten blieb leer. „Wochenschau“-Reporter und Fotografen, die sich zur Urteilsverkündung Anfang 1951 in den überfüllten Schwurgerichtssaal in Augsburg gedrängt hatten, bekamen nicht die Bilder, die sie sich gewünscht hatten. Die „Bestie von Buchenwald“ habe sich, so teilte der Gerichtsarzt mit, „freiwillig in einen Zustand versetzt, der ihr Erscheinen unmöglich mache“. Ilse Koch wolle weiter die Verhandlung behindern.

Davon ließ sich das Gericht nicht stören, denn die Angeklagte hatte diese Taktik schon mehrfach angewandt, zum Beispiel am 18. Dezember 1950. Landgerichtsdirektor Georg Maginot hatte daraufhin mitgeteilt, wegen eines „selbst beigebrachten nervösen Zusammenbruchs“ werde in Abwesenheit der Beschuldigten weiterverhandelt.

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Nun, gut vier Wochen später, erklärte der Vorsitzende Maginot in der Urteilsbegründung, die Angeklagte sei der Anstiftung zu vollendetem Mord, zu versuchtem Mord sowie zu gefährlicher Körperverletzung schuldig. Dafür erhielt sie eine lebenslängliche Haftstrafe. Ihre Einlassung, die Aussagen zahlreicher früherer KZ-Häftlinge gegen sie seien das Ergebnis einer „Verschwörung“ oder „einer zentralen Lenkung der Zeugen“, sei unzutreffend.

Über die Zustände im KZ Buchenwald in der Zeit, in der Ilse Koch dort war, sagte Maginot: „Mordlust konnte sich dort unter der Ära des Kommandanten Karl Otto Koch ungehindert austoben. Die Häftlinge waren nur eine Nummer und galten weniger als ein Tier.“ Nach dem Urteil wurde Ilse Koch ins Gefängnis Aichach verlegt.

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Geboren 1906 als Margarete Ilse Köhler, war die gelernte Buchhalterin zum 20. April 1932 der NSDAP beigetreten. Den Antrag dürfte sie Ende 1931 oder Anfang 1932 gestellt haben – als die Hitler-Bewegung sich erkennbar im Aufschwung befand, aber von einer Mitgliedschaft noch eher Nach- als Vorteile zu erwarten waren. Das spricht dafür, dass sie aus Überzeugung Nationalsozialistin wurde.

Im Frühjahr 1934 lernte sie ihren späteren Ehemann Karl Otto Koch kennen, der zu dieser Zeit bereits Obersturmführer (vergleichbar einem Oberleutnant der regulären Armee) bei der sächsischen SS war. Am 30. Juni 1934, zeitgleich zur Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches, besetzte Koch mit seinen Männern die vormalige Jugendherberge Burg Hohnstein 30 Kilometer östlich von Dresden, in der seit März 1933 SA-Leute ein „wildes KZ“ betrieben. Koch war nun KZ-Kommandant.

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Ilse Köhler wurde im Herbst 1934 seine Sekretärin im größeren KZ Sachsenburg zwischen Dresden und Chemnitz. Seit wann genau die beiden ein Paar waren, ist nicht überliefert; jedenfalls besuchte Ilse ihn oft auf verschiedenen Stationen seiner schnellen Karriere im KZ-System.

Ab November 1934 leitete Koch die SS-Truppe im KZ Esterwegen im Emsland, Ende Februar 1935 wechselte er als zweiter Mann der Lagerhierarchie ins KZ Lichtenburg, und im April „hospitierte“ er drei Wochen als Adjutant beim Inspekteur aller KZs, Theodor Eicke. Anschließend übernahm Koch das relativ kleine KZ Columbia-Haus in Berlin als Kommandant. Nach wenigen Monaten wechselte er wieder nach Esterwegen und wickelte dieses KZ ab. Anschließend wurde er Gründungskommandant der beiden neuen Groß-KZs Sachsenhausen und Buchenwald.

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In Sachsenhausen, nördlich von Berlin, heiratete Ilse im Mai 1936 Karl Otto Koch. Im Jahr darauf ließ sich das Paar auf dem Areal des KZ Buchenwald bei Weimar eine Villa errichten. Mit seinen drei 1938 bis 1940 geborenen Kindern ging das Ehepaar gern sonntags im SS-Zoo am Lagerzaun spazieren und ließ sich beim Füttern oder Streicheln der Tiere fotografieren.

Unter den Häftlingen des KZs trug Ilse Koch rasch die Beinamen „Kommandeuse“ oder „Bestie von Buchenwald“. Sie führte sich als die Hausherrin des Ettersberges außerhalb des eigentlichen Häftlingsbereiches auf, stiftete zum Beispiel SS-Leute zu Bestrafungen von Gefangenen an, die sie angeblich „unzüchtig“ angesehen hatten.

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Mindestens zwölf Häftlinge arbeiteten regelmäßig im Garten der Villa Koch, wuschen und putzten, ja kochten manchmal sogar. Kurt Titz war einer, der überlebte. Seinen Aussagen nach wurde er morgens um fünf Uhr von einer SS-Wache aus dem Häftlingsbereich in die Villa Koch gebracht, musste dort anfeuern, dann die Kinder wecken und anziehen, anschließend Hausarbeit verrichten und wurde abends gegen 19 Uhr, nach 14 Stunden Arbeit, ins Lager zurückgebracht.

Als er einmal in der Küche etwas aus einem abgeräumten, aber noch halbvollen Glas trank, beobachtete Ilse Koch ihn – die Folge war furchtbar: Titz wurde mit 25 Stockhieben auf das nackte Hinterteil bestraft (derlei allein konnte schon tödlich sein), anschließend wurde er eine nicht bekannte Zeit im Bunker des KZs von dem gefürchteten, besonders sadistischen SS-Unteroffizier Martin Sommer an den Armen aufgehängt. Danach durfte (oder musste) Titz weiter in der Villa Koch arbeiten.

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Karl Otto Koch und seine Frau bereicherten sich in einem Maße, das selbst für die SS zu viel war. Mitte 1943 lagen allein auf ihren offiziellen Bankkonten mehr als 70.000 Reichsmark, rund 25 durchschnittliche Jahresgehälter oder umgerechnet auf heutige Werte eine Million Euro. Was sie sonst noch alles den Häftlingen abgenommen hatten, wussten die beiden vermutlich nicht einmal selbst.

Derartiges Gebaren war sogar der SS zu viel. Erstmals im November 1941 für kurze Zeit und erneut im Sommer 1943, nun dauerhaft, wurde Koch als KZ-Kommandant (inzwischen in Majdanek-Lublin im besetzten Polen) abgesetzt; seine Frau lebte mit den Kindern bis zu seiner Absetzung weiterhin in der Villa auf dem KZ-Areal. Ihr Mann wurde im Dezember 1944 von einem SS-Gericht zum Tode verurteilt und Anfang April 1945 in Buchenwald erschossen. Ilse Koch, nun Witwe mit drei Kindern, erlebte das Kriegsende bei Verwandten nahe Ludwigsburg.

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Hier wurde sie am 30. Juni 1945 von US Army verhaftet. In ihrem ersten Prozess, dem Dachauer Buchenwald-Verfahren vor einem US-Militärgericht, ging es um Verbrechen an ausländischen Häftlingen.

Die zunächst erlassene lebenslängliche Strafe (auf die Todesstrafe hatte das Gericht verzichtet, weil Ilse Koch hochschwanger war) wurde aus formalen Gründen auf vier Jahre reduziert. Doch unmittelbar nach ihrer Entlassung im Oktober 1949 wurde sie wieder in Haft genommen und nun wegen Verbrechen an deutschen Häftlingen vor dem Landgericht Augsburg angeklagt.

Einer der wichtigsten Anklagepunkte war, Ilse Koch habe tätowierte Häftlinge häuten lassen, um aus ihrer Haut Lampenschirme und ähnliche „Souvenirs“ anfertigen zu lassen. Doch das Gericht ließ diesen Anklagepunkt fallen, denn er ließ sich nicht nachweisen.

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Ein lange in der späteren DDR-Gedenkstätte in Buchenwald gezeigter und Ilse Koch zugeordneter Lampenschirm erwies sich nach 1990 als Fälschung; ein weiterer, der am 16. April 1945 in Buchenwald fotografiert worden war, verschwand unter ungeklärten Umständen. Der Historiker Ulrich Herbert urteilt daher, es habe sich bei den Lampenschirmen aus tätowierter Menschenhaut um eine „Phantasmagorie“ gehandelt.

Gleichwohl stießen die beiden Prozesse gegen Ilse Koch in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit „auf starkes, darunter auch voyeuristisch geprägtes Interesse“. Ihr vielfach nachgewiesener Sadismus gegenüber Häftlingen war inzwischen sexuell aufgeladen worden: Angeblich soll sie in knapper Unterwäsche durch die Lagerstraßen geritten und nymphomanisch veranlagt gewesen sein.

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Da das Augsburger Urteil sich auf Verbrechen an deutschen Häftlingen bezog, das vorherige des US-Militärgerichtes aber auf nicht-deutsche Opfer, lag kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip „ne bis in idem“, dem zufolge ein Beschuldigter nicht zweimal für dasselbe Vergehen bestraft werden darf.

Das starke Interesse der Öffentlichkeit für die „Bestie von Buchenwald“ hatte aber gewiss damit zu tun, dass eine vorzeitige Freilassung für sie nie infrage kam. Nachdem sich ihr ältester Sohn aus unbekannten Gründen das Leben genommen hatte, beging auch Ilse Koch am 2. September 1967, nach mehr als 22 Jahren hinter Gittern, Suizid. Ihr Abschiedsbrief war kurz: „Ich kann nicht anders. Der Tod ist für mich eine Erlösung.“

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