Die „Bestie von Buchenwald“ – und wie sie dazu (gemacht) wurde (2024)

Mit dem bissig-polemischen Begriff des Versöhnungstheaters hat der Autor Max Czollek unlängst darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Deutschen allzu behaglich in dem Gefühl eingerichtet haben, sich hinreichend mit ihrer eigenen Geschichte befasst zu haben. So sehr, dass sich zu Beginn des Jahres eine angesehene Historikern im Rahmen einer Tagung zu der Bemerkung hinreißen ließ, es komme ihr manchmal so vor, dass die Zeit nach 1945 nicht weniger schrecklich gewesen sei als die Jahre davor. Sie spielte damit auf die gesellschaftliche Verdrängung der Verantwortung für den Holocaust im Allgemeinen und die NS-Kontinuitäten in den Institutionen der jungen Bundesrepublik im Besonderen an. Tatsächlich erreichen uns die Enthüllung über NS-Verstrickungen von Kultur- und Medienfunktionären – Alfred Bauer, Werner Haftmann, Karl Holzamer – auch Jahrzehnte später noch als verblüffende Neuigkeit. Hätte man das nicht längst wissen können?

Was man wissen konnte und wie sich dieses Wissen in der unmittelbaren Nachkriegszeit veränderte, hat die Historikern Alexandra Przyrembel anhand eines spektakulären Falles rekonstruiert. Die 1906 in Dresden als Ilse Köhler geborene Ilse Koch war eine der wenigen verurteilten NS-Täterinnen. Sie war die Ehefrau des Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Otto Koch, der eine steile Karriere in der SS gemacht hatte, im April 1945 aber wegen Mordes, Unterschlagungen und Betruges von einem SS-Gericht verurteilt und hingerichtet worden war.

Ein Reh läuft im Bildhintergrund

Die Verbindung von Karl Otto und Ilse Koch kann als exemplarische Aufstiegsgeschichte innerhalb des nationalsozialistischen Regimes erzählt werden. Das Bestreben, einer Elite anzugehören und ein Leben in gediegenem Wohlstand zu genießen, führte die beiden schließlich zu einem bizarr anmutenden Nebeneinander von Familienidyll und dem Ausagieren brutaler Gewalt als auferlegte Pflicht. Die wenigen Fotos, die es von dem regimetreuen Paar gibt, zeigen sie in ausgelassener Sorge um den Sohn Artwin. „Mit Mami im Garten“, ist eins der Fotos beschriftet, ein anderes zeigt den Jungen „mit Papi im Zoo Buchenwald“ im Oktober 1939. Das Idyll ist menschenleer, ein Reh läuft im Bildhintergrund. Ein Ehepaar sucht Entspannung von der Arbeit, der Gewalt- und Tötungsmaschinerie des Konzentrationslagers.

Ilse Koch war bei all dem eine zustimmende Mitwisserin, innerhalb der Bürokratie des Konzentrationslagers übte sie keinerlei Funktion aus. Gleichwohl bezeugten Buchenwald-Überlebende in mehreren Prozessen ihre Mittäterschaft. Sie habe Gefangene geschlagen oder deren Bestrafung veranlasst, weil sie meinte, unbotmäßige Blicke verspürt zu haben.

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Alexandra Przyrembel rekonstruiert die Lebens- und Täterinnengeschichte der Ilse Koch, indem sie versucht, deren Tun und Unterlassen in verschiedenen Kontexten zu ergründen. Weit mehr als der Versuch, einer Lebensgeschichte Rechnung zu tragen, beschreibt Przyrembels Buch ein Stück deutscher Gesellschaftsgeschichte und geht dabei der Frage nach, wie es zu solch einer individuellen Gewaltgeschichte kommen konnte, wie diese schließlich die Gestalt eines monströsen Mythos annahm und zu einem widersprüchlichen Fall internationaler Rechtsgeschichte wurde.

Die „Bestie von Buchenwald“ – und wie sie dazu (gemacht) wurde (3)

Ilse Koch 1906 - 1967 Nazi-Kriegsverbrecherin, die in den Konzentrationslagern ihres Mannes, des Kommandanten Karl-Otto Koch, als Aufseherin tätig warUIC/Imago

Die Legende von den Lampenschirmen

Im Juni 1945 war Ilse Koch in Ludwigsburg von der amerikanischen Armee als mutmaßliche Kriegsverbrecherin verhaftet worden. Im zwei Jahre später stattfindenden Prozess leugnete sie, an Misshandlungen und dem Mord an Lagerinsassen beteiligt gewesen zu sein oder davon Kenntnis gehabt zu haben. Dennoch wurde sie im August 1947 zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst als diese Haftstrafe 1948 im Verlauf eines Revisionsverfahrens auf vier Jahre reduziert wurde, nahm im Kontext internationaler Medienberichterstattung der Mythos über die „Bestie von Buchenwald“ Gestalt an, der insbesondere dadurch befeuert wurde, dass ihr eine besondere Vorliebe für Lampenschirme aus haltbar gemachten tätowierten Häuten männlicher Lagerinsassen unterstellt wurde.

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Ilse Koch war zum personifizierten Bösen und zur exemplarischen Protagonistin dessen geworden, was Hannah Arendt am Beispiel des Eichmann-Prozesses als Banalität des Bösen herausgearbeitet hatte. Alexandra Przyrembel indes kann anhand von Indizien nachweisen, dass die Lampenschirme im Fall Ilse Koch ein mediales Hirngespinst waren, zugleich aber eine wichtige Funktion in Bezug auf gesellschaftliche Entlastungsstrategien einnahmen. Die vermeintliche Grausamkeit der Ilse Koch, so legt es Przyrembel nahe, half den Deutschen dabei, sich von der eigenen Verantwortung für die Verbrechen zu distanzieren und sich selbst zu entschulden. „Wenn nach der Befreiung der nationalsozialistischen Lager“, schreibt Przyrembel, „der mit Ilse Koch verbundene Lampenschirm die in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen symbolisierte, stellt ihre Verurteilung Anfang der 50er-Jahre eine Katharsis für alle ,anständigen Deutschen‘ dar.“

Entlastung von Schuld?

Alexandra Przyrembel belässt es nicht bei der Darstellung einer komplexen sozialpsychologischen Lesart. Minutiös untersucht sie die verschiedenen Prozesse und stellt sie in den Zusammenhang der jeweiligen Medienberichterstattung, die schließlich das Urteil beeinflusste, das zu einer neuerlichen lebenslangen Haft führte, der Ilse Koch sich 1970 durch Suizid entzog. Längst war ihr Fall zum Gegenstand einer wechselseitig-dynamischen Systemkonkurrenz zwischen BRD und DDR geworden, die die Auseinandersetzung damit auch zu einem Politikum machte. „Im deutsch-deutschen Beziehungsgeflecht“, so Przyrembel, „dominierte die (ostdeutsche) Kritik an der deutschen Schmach bzw. die (westdeutsche) Beschwörungsformel der Exzesstäterin.“

Weit davon entfernt, individuelle Schuld zu relativieren, zeigt die Studie von Alexandra Przyrembel, warum es bei der Beurteilung von NS-Kontinuitäten in den deutschen Nachkriegsgesellschaften des genauen Blicks auf den jeweiligen Einzelfall bedarf. Es kann allemal dazu beitragen, die schnell als Versöhnungstheater abgeräumten Wechselbeziehungen in all ihren Akten nachzuvollziehen und zu verstehen.

Alexandra Przyrembel: Im Bann des Bösen. Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970.S. Fischer Verlag. 432 Seiten, 28,80 Euro

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Author: Mrs. Angelic Larkin

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